«Neu von Sünde reden»

Die Frage und das Thema beschäftigen noch heute: Ist es sinnvoll, heute «nicht mehr von der Sünde zu reden» oder zielführender «von der Sünde neu zu reden»? Theologe, Kirchenratspräsidentin, tecum-Leiter und Gemeindeleiterin debattierten in Romanshorn in der Reihe «Brennende Fragen – damals und heute».

Thorsten Dietz hat Theologie, Philosophie und Germanistik studiert und stellte die Sünde zur Disposition. Bild: Markus Bösch

Für den Theologen Dr. Thorsten Dietz ist es klar: «Mit dem Konzept Sünde ist gesündigt worden. Und das bedeutet aus meiner Sicht, dass damit die Gottesebenbildlichkeit des Menschen in den Hintergrund gerückt, der Mensch schlechtgeredet worden ist. Es gilt, die kirchliche Selbstüberschätzung aufzuarbeiten.» Dietz glaubt, dass sich die Kirche(n) spätestens seit der Aufklärung vom negativen Menschenbild im Zusammenhang mit der Erbsündenlehre (der Zurechnung von fremder Schuld) verabschiedet haben. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass alle Menschen sündigen. Alle Menschen sind gefährdet zu «fallen» und sind gleichzeitig talentierte und positive Lebewesen. Damit befinden sich diese in der Ambivalenz von Verhängnis und Verantwortung, in einer Balance von Schuld und Schicksal.

Mit neuen Inhalten
Wenn heute und weiterhin von Sünde geredet werden will, brauche es eine neue Phänomenologie, neue Inhalte. Stichworte dazu seien etwa Beziehungsstörung, Lieblosigkeit, Vertrauensverlust oder auch persönliche Zielverfehlung. «Wenn wir also neu über diesen Begriff reflektieren und zu reden versuchen, braucht es neue Wörter für die gute Botschaft des christlichen Glaubens. Das heisst, dass Gott die Menschen damit befreien will auf dem Weg der Verantwortlichkeit», so Dietz.

Das ist herausfordernd
Eingeladen zur nachfolgenden Ökumenischen Debatte waren Christina Aus der Au, Kirchenratspräsidentin der Evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau und Anne Zorell Gross, Gemeindeleiterin der katholischen Kirchengemeinde Romanshorn. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Pfarrer Thomas Bachofner, tecum-Leiter in Ittingen: «Das Thema ist ambivalent und herausfordernd (Zorell), und es ist wichtig darüber einfach zu reden (Aus der Au)». Beeinflusst haben dabei sowohl Elternhaus und Jugendzeit als auch das Studium. Und heute «sehe ich mich als Sünderin verkrümmt in mir, also als Mensch, der so nicht mehr den Blick für andere Menschen und Lebewesen haben kann. In Bezug auf grosse Lebensbezüge stellt sich immer wieder die Frage, wie wir uns in der Welt bewegen. Sünde heisst so verstanden, getrennt sein von Gott und entfremdet gegenüber dem Leben“, sagte Christina Aus der Au. 

Das Befreiende verständlich machen
Dietz nahm in diesem Zusammenhang die Bemerkung eines Besuchers auf und meinte: «Jesus war darum sündlos, weil er sich immun zeigte und sich nicht vom Bösen anstecken liess.» «Und diese Menschwerdung von Jesus ist und war auch die Hoffnung auf die Zukunft, die er ermöglicht, weil ich ihm die Sorge um mein Selbst übergeben kann», so Anne Zorell. Alle waren sich einig, dass es gerade heute entscheidend ist, die befreiende Botschaft verständlich für die Welt zu erzählen. Weil mit dem Erzählen von Jesus und Gott immer Bilder verbunden sind, bedeutet es, diese Bilder gross zu machen. Denn Gott ist Beziehung und bleibt Geheimnis, ist ganz nah und bleibt ganz anders und ist darum viel mehr «Film als Bild».